Christmas Island

 

 

Kurz vor der Landung taucht eine dicht bewaldete Insel im grauen Nieselregen auf. Christmas Island liegt verregnet und silber-grün glänzend vor mir im ebenfalls silbern glänzenden Indischen Ozean, über dem an diesem Tag eine graue Dunstschicht liegt. In der Unterkunft angekommen stelzen dann auch schon die ersten berühmten Bewohner von Christmas Island im Sprühregen über die Straße und über den Rasen vor dem Haus, die roten Landkrabben. Ich beobachte die roten Kobolde wie sie Gras und Grünzeug in sich hineinmampfen und dabei ein eigenartiges knackendes und knisterndes Geräusch erzeugen (als würden sie auf etwas Hartes beißen und nicht auf weiches, grünes Gras). Dieses Jahr hatte sich wegen der geänderten Wetterbedingung ihre Wanderung zeitlich etwas verschoben („the little bastards got confused this year“, hatte mir mein australischer Sitznachbar im Flugzeug erklärt), sodass auch ich die Wanderung bei meinem Aufenthalt noch miterleben konnte. Die kleinen, roten Tierchen sind so entzückend, dass ich mich am nächsten Tag fast nicht zur bereits vereinbarten Tauchausfahrt losreißen kann.

 

Ein großer Schritt vorwärts vom Boot ins Blau und mir verschlägt es die Sprache, mein Herz setzt einige Schläge aus, die Sichtweiten müssen an die 40-50 Meter betragen, ich habe so etwas noch nicht gesehen. Wir tauchen in eine Grotte, die Sicht ist grandios, das Wasser leuchtend blau und klar wie ein Gebirgsbach. Leider offenbaren die großen Sichtweiten auch Trauriges: Zum Teil flächendeckend abgestorbene Steinkorallen – ein Leichenschauhaus, schießt es mir durch den Kopf.

 

Es ist ein kräftezehrendes Auf und Ab der Gefühle: Am nächsten Tag betauchen wir Perpendicular Wall, eine Wand mit herrlichen Fächern bewachsen, die senkrecht bis ins Unendliche abfällt. Langnasenbüschelbarsche liegen bequem in ihren rosaroten Fächern über der blauen Tiefe, die keinen Boden zu haben scheint. Ich höre ein aufgeregtes Klopfen und drehe mich um. Ein Walhai, ein wirklich gewaltiges Exemplar schwimmt von hinten gemächlich in Armeslänge von mir entfernt im königsblauen Wasser in 30 Metern Tiefe an mir vorbei. Gleich darauf ein weiteres Exemplar 10 Meter unter mir, während ein kleinerer über meinen Kopf hinweg zieht. Und auch noch ein vierter gepunkteter Riese schwebt im glasklaren Wasser die grandiose, lilafarben bewachsene Wand entlang. Weißspitzenriffhaie drehen ihre Runden, ein Napoleon tritt die Flucht an und ein Schwarm Fledermausfische mit ca. 100 Stück beobachtet die vorbeiziehenden Taucher. Am Abend male ich Sternchen in mein Logbuch.

 

Haibegegnungen bleiben auch bei den nächsten Tauchgängen auf der Tagesordnung: Weißspitzenriffhaie, Schwarzspitzenriffhaie, graue Riffhaie, Seidenhaie und zwei Hammerhaie. Leider bleiben auch die weitläufig gebleichten Korallenfelder auf der Tagesordnung. Ich schwanke täglich zwischen Euphorie und Frust. Ein Mobula heitert mich ein wenig auf bis ich wieder den Blick den toten Abhang hinunter gleiten lasse. Auf den großen, grauen Platten ehemaliger Tischkorallen sprießen aber Gott sei Dank schon wieder die Nachkommen von Steinkorallen.

 

Wir betauchen Thundercliff Cave und eine zweite Höhle, deren Name mir nicht erinnerlich ist, wobei jene zweite Höhle eine luftgefüllte Kammer aufweist, in der man auftauchen kann und in der unzählige elegante weiße und beigefarbene Stalaktiten von der Decke tropfen. Kaltes Süßwasser vermischt sich in der Höhle mit wohlig warmen Meerwasser und macht einen frösteln.

 

Ähnliches kann man übrigens auch von Land aus erleben, the Grotto ist eine durscheinend türkis leuchtende, mit Meerwasser gefüllte Grotte, in der ebenfalls mächtige Stalaktiten von der Decke hängen. An den Rändern der Grotte krabbeln stets einige der roten Kobolde herum und beobachten mehr oder minder interessiert das Geschehen. An einem befestigten Seil kann man ins Wasser klettern und im schönsten aller Pools ein Bad nehmen. Dutzende Vögel ziehen unentwegt ihre Bahnen über den dichten Dschungel und das Meer.

 

Nur ungefähr 2.000 Touristen besuchen die Weihnachtsinsel im Jahr, ungefähr 1.500 Menschen leben ständig auf der Insel. Es ist ein bisschen wie das Ende der Welt. Aber ein sehr, sehr schönes, das muss man freilich sagen.

 

 

Jänner 2020

 

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© Christine Rauter