Bei Ras Mohammed stürzt ockerbraunes Land teils in steilen Klippen in die tiefblaue See. Unter Wasser setzt sich der senkrechte Sturz der Landmassen nach unten fort, allerdings verwandeln sich die ockerbraunen Klippen unter der Wasseroberfläche in grelle pink und rosarot bewachsene Steilwände, die ins Unendliche abzufallen scheinen und auf denen zwischen buntem Weichkorallenbewuchs tausende orange Fahnenbarsche umher schwirren. Ein fantastisches, farbiges, bewegtes Spektakel, das die Sinne fesselt und einem buchstäblich den Atem raubt während einen die leichte Strömung die Wand entlang treibt. Ein Juwelenzackenbarsch wirft mir einen leicht angenervten Blick zu und rollt mit den Augen während er in sicherem Abstand um mich herum kurvt. Ein Napoleon überlegt kurz, ob die runden weißen Abdeckungen meiner Blitzlichter hartgekochte Eier sein könnten und wirft begehrliche Blicke darauf während er sich nähert, versteht aber bedauerlicherweise recht schnell, dass es sich hier nur um Blendwerk handelt und sucht das Weite, nachdem er die Blitze kurz begutachtet hatte. Beim Yolanda Reef setzt die leichte Strömung, die einen sanft, aber bestimmt das Shark Reef entlang geführt hat, mit einem Mal aus und bedeutet einem, dass man nun am Ende dieser kurzen Reise angelangt ist. Weiße Weichkorallen wuchern über die noch vorhandenen Reste des Wracks. Zwei Krokodilsfische sitzen auf einer der hier herumliegenden Toilettenschüsseln. Arabische Kaiserfische kreuzen durch die Reste des ansonsten - in unerreichbarer Tiefe - verschwundenen Wracks. So viel Leben! Es ist kaum alles zu erfassen.
Bei den Tauchgängen am Wrack der SS Thistlegorm nordwestlich von Ras Mohammed beschleicht mich hingegen ein seltsames Gefühl während ich die Innenräume des riesigen, englischen Transportschiffes durchtauche, das 1941 von den Deutschen abgeschossen wurde. Die Waggons, die geladenen Motorräder, die Autos, die Munition hinterlassen einen beängstigend realen Eindruck, sodass sich mein Herz zu meinem eigenen Erstaunen kurz vor Schrecken weitet. Lediglich die riesigen zerfetzten Stiefel kaufe ich ihnen nicht ab, ich halte es für schlichtweg unvorstellbar, dass diese seit fast 80 Jahren so gut wie unverrottet am Meeresgrund liegen sollten - ich gehe davon aus, dass diese irgendjemand nachträglich am Wrack platziert hat (auch wenn mein Guide versichert, diese wären schon immer da gewesen). Dennoch verursacht mir das Wrack das seltsame Gefühl einer eindringlichen, intensiven Realität; die dramatischen Ereignisse des 6. Oktober 1941 scheinen fast greifbar, eine Wirklichkeit, die mir - für mich völlig unerwartet - durch Haut und Knochen dringt. In einem umso seltsameren Gegensatz dazu steht das Meeresleben am Wrack, das ganz gelassen so tut, als wäre es völlig normal, dass all dies hier am Meeresgrund liegt. Skorpionsfische dösen auf altem Metall, Fledermausfische und Makrelen umschwärmen den gewaltigen Bug, eine Schildkröte hat einen der Aufenthaltsräume des alten Kriegsschiffes als Wohnung auserkoren, Krokodilsfische liegen am Oberdeck als wären sie hier als Matrosen angestellt. Eine neue eigenartige Mannschaft von Meereskreaturen steuert nun scheinbar das gewaltige alte englische Schiff. Der Krieg ist längst vorüber, scheinen sie sagen zu wollen.
Nun muss man natürlich auch die Tiran Riffe betauchen, wenn man denn schon in Sharm El Sheikh ist. Gordon und Thomas Reef präsentieren farbenprächtiges Getier und herrliche Anthias Schwärme. Am Ende des Thomas Reef setzt etwas Strömung ein und saugt uns die pulsierenden Riffwände entlang, als wolle es sicherstellen, dass wir auch wirklich alles zu sehen bekommen. Fein verästelte Feuerkorallen fächern sich entlang der Riffkante auf. Eine Schildkröte kaut vergnügt am Weichkorallenbewuchs. Eine Muräne faucht aus einer Spalte hervor. Kugelfische und Igelfische schwimmen eilig vorüber. Fast jeder Tauchgang ist ein Höhepunkt, sodass man sich am Ende fast geplättet fühlt von so viel Überfluss.
Haie sehe ich diesmal nur bei Ras Umm Sid, wo etwa ein trächtiges Weißspitzenriffhaiweibchen regelmäßig bei einem tiefergelegenen Plateau mit Gorgonienfächern anzutreffen ist, ebenso wie der ortstreue Barrakudaschwarm und einige Napoleons. Der Tauchgang vom Fanar Beach aus mit sehr bequemen Einstieg ist sicherlich einer der schönsten Landtauchgänge, die man hier unternehmen kann und bereits hier bieten sich spektakuläre Gorgonienwälder mit zahlreichen possierlichen Langnasenbüschelbarschen, die in ihrer rot-weiß karierten Tracht in den Gorgonien hocken.
Sharm El Sheikh verfügt wohl über die prächtigsten Steilwände des Roten Meeres. Leider wissen das aber bereits zu viele Taucher. Und obwohl ich das Zeitfenster der Corona-Lockdowns in Europa nutze und die Ägypter bitterlich über das Ausbleiben der Tauchtouristen klagen, finde ich das Bootsaufkommen immer noch als geradezu massig. Aber Schönheit bleibt eben selten verborgen...
Dezember 2020/Fotos zum Teil auch aus Juni 2021