Tompotika

 

 

Die letzten dreieinhalb Autostunden zum Resort gleichen einem wirren, unangenehmen Traum nachdem ich in Luwuk völlig übermüdet aus dem Flugzeug geklettert bin: Der Fahrer hat sich wegen der Dunkelheit weit nach vorne übers Lenkrad gebeugt, um überhaupt sehen zu können. Er reißt das Auto nach links, nach rechts, bringt es abrupt zum Stehen, gibt wieder Gas, poltert in einem Affentempo durch Schlaglöcher während von links und rechts – wie in einem Computerspiel, wo man bestimmten Figuren ausweichen muss – Hunde, Kinder, Ziegen und Hühner ins Scheinwerferlicht springen. Es ist mir schlichtweg nicht möglich, die Augen zu schließen. Kurve nach rechts, Kurve nach links, Notbremsung, Hügel rauf, Hügel runter, Notbremsung, Kurve nach rechts, so schnell, dass einen die Fliegkraft in die Seitentür drückt. Mir ist übel. Und nach vier Flügen mit einer Zwischenübernachtung in Jakarta in einem kleinen Winkel des Gehirns die berechtigte Frage, warum um Gottes willen man sich so etwas im Urlaub antut.

 

Der erste Tauchgang bei Tanduk am nächsten Morgen beantwortet die Frage dann zur Genüge. Hunderte rosarote und weiße Fächer, gekrönt von dutzenden schwarzen und weinroten Haarsternen wuchern über hügeliges Gelände. Schwärme von Doktorfischen und Pyramidenfalterfischen fließen in einer Endlosschleife um einen herum. Kofferfische und Kugelfische blicken einen aus schwarzen, kleinen Äuglein erstaunt an – die Wesen in Neopren sind hier noch die Ausnahme und nicht die Regel. Tausende Rotzahndrücker schweben wie kleine, blaue Kobolde über die rosaroten und weißen Fächer und legen sich bei Annäherung ängstlich in kleine Spalten, sodass nur mehr der gegabelte Schwanz zu sehen ist. Rosarote, üppig mit Weichkorallen bewachsene Abhänge stürzen sich ins tiefe Blau, am Grat eine Reihe dunkelgrüner Hartkorallen, um die hunderte orange Fahnenbarsche wie ein stetiger Herzschlag pulsieren.

 

Am Nachmittag betauche ich dann das Hausriff, auf dem die Sicht aufgrund des Wellengangs auf geschätzte 2-3 Meter gesunken ist. Ein sandiger Abhang fällt relativ steil bis in 25 Meter Tiefe. Sand, Sand, Sand, nicht der geringste Bewuchs. Trotz guter Beschreibung finde ich die Anglerfische erst beim zweiten Versuch. Am Fuße des Abhangs wurden zwei Fahrräder und zwei Motorräder platziert (am Ende meines Aufenthaltes kamen zwei weitere Fahrräder dazu). Und auf den Fahrrädern thronen sie meistens wie kleine Könige, vier Stück finde ich beim zweiten Anlauf, bei der ersten Sichtung saß ein Exemplar ganz vorwitzig am Sattel des Fahrrades. Aus dem Tank eines der Motorräder lugen mehrere winzige, lediglich fingerdicke Weißaugenmuränen. Ein paar Kobias tauchen aus dem grauen Nichts auf. Dann das Gefühl eines festen Schlages auf die Hinterseite meines Oberschenkels. Ich drehe mich um, ein großer Schiffshalter versucht anzudocken, findet das Neopren aber dann doch nicht so sympathisch und gibt nach ein paar Versuchen auf. Die Sicht am Hausriff bessert sich während meines gesamten Aufenthaltes nicht wirklich, aber für meine Makro-Aufnahmen ist es ohnehin egal. Ich finde noch ein Seepferdchen, zahlreiche Schlangenaale, Schnepfenmesserfische, Flügelrossfische, Flundern und Feuerfische in allen Variationen. Den Wonderpus, den eine Mittaucherin gleich beim ersten Tauchgang am Hausriff gesichtet hat, suche ich aber vergeblich (ich sollte einen solchen dann aber an einem anderen Tauchplatz finden).

 

Bei Batu Tetek umspielt eine sanfte Strömung die ebenfalls fächerbewachsenen, aber hier etwas kargeren Felsen, ein Adlerrochen wirft einen kurzen Blick auf uns und verschwindet dann im Blauwasser. Einige kleinere Haie kreisen im Blau, kehren immer wieder zurück, um uns zu beäugen, während Doktor- und Wimpelfischschwärme weiter oben die Kuppen der Erhebungen umschwimmen. Am Heimweg kreuzt dann ein großer Wanderer der Meere unseren Weg, ein Walhai pflügt durchs planktonreiche Wasser.

An einem der folgenden Morgen bringt die Ausfahrt zum Tauchplatz morgens einen Wal (neben den Delfinschulen, die fast immer vom Boot aus zu sehen sind), sodass der Tauchgang selbst dann in meiner Erinnerung etwas verblasst. Nachdem Wale in unseren Bestimmungsbüchern kaum beschrieben sind, beschließen wir kurzerhand, dass es sich doch wohl um einen Minkwal gehandelt haben muss, nachdem ich das Wort in die Runde geworfen hatte (ohne das wirklich begründen zu können, aber von einem Minkwal hatte jeder von uns schon etwas gehört).

 

Die Schönheit der Landschaft um das winzige Resort, das mitten in einem indonesischen Dorf gelegen ist, ist eher herb: Karge, trockene, grasbewachsene Hügel, auf deren schroffen Abhängen lediglich einige Büsche Halt finden. Ein dunkler Sandstrand säumt die gesamte Bucht, an dem die hölzernen Hütten des Dorfes mit ihren rauchenden Kaminen inmitten eines Palmenhaines kauern. Hähne, Hunde, Katzen und Ziegen spazieren am Sandstrand entlang und statten auch dem kleinen Tauchresort des öfteren einen Besuch ab (die lose Latte im Zaun war offensichtlich rasch gefunden).

 

Die weiteren Tauchgänge präsentieren sich wie eine bunte Spielzeugkiste für Taucher: Leuchtend bunte Plattwürmer, Coleman Shrimps, Pygmäenseepferdchen, Fangschreckenkrebse, Sepien, Wonderpus, Orang-Utan-Krabben, Geisterpfeifenfische, leuchtend pinke Schaukelfische, Schwarmfische, Weißspitzenriffhaie, Schwarzspitzenriffhaie, Büffelkopfpapageifische, Schnecken in den grellsten Farben, unmöglich überhaupt alles wahrzunehmen. Strömung und zum Teil nur mittelmäßige Sichtweiten sollten einen aber nicht abschrecken, das sollte auch dazu gesagt werden.

 

Tompotika gehört sicherlich zum Hochadel der indonesischen Tauchgebiete – auch wenn die Königskrone für mich noch immer Raja Ampat vorbehalten bleibt, die Prinzenrolle könnte Tompotika aber gut und gerne übernehmen.

 

 

 

Dezember 2019

 

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© Christine Rauter