Pulau Weh

 

 

Weiche, graue Wolken liegen über dem an diesem Tag ebenfalls grau-silbern glänzenden Ozean im Norden Sumatras. Es tröpfelt ein wenig, Donner grollt in der Ferne hinter den mit Dschungel bedeckten Bergen. Das Wasser steht völlig still, nicht der Hauch einer Bewegung. Wir tauchen an der mittleren Boje ab. Zwei Minuten lassen wir uns in die blaue Tiefe sinken bis wir auf 45 Metern das Oberdeck der Sophie Rickmers erreichen.

 

Die Sophie Rickmers, ein gigantischer Stahlkoloss, 134 Meter lang, ruht am sandigen Grund vor Pulau Weh zwischen 37 und 67 Metern Tiefe. Die Geschichte des Schiffes ist dramatisch und düster und erzählt die Geschichte von einem Entkommen um Haaresbreite, um dann letztendlich doch zu sterben: Der deutsche Frachter entging 1939 mit waghalsigen Manövern mehreren englischen Zerstörern und konnte sich auf das nahe gelegene Pulau Weh retten, das damals unter niederländischer Herrschaft stand. Nachdem die Deutschen in Europa ihre Blitzkrieg-Offensive gegen die Niederlande gestartet hatten und die Niederlande am 10. Mai 1940 daher in den Krieg eingetreten waren, befand sich die Sophie Rickmers jedoch plötzlich mitten im Feindesland. Um der Beschlagnahme des Schiffes durch die Niederländer zu entgehen, hielt Kapitän Helms die Niederländer für  mehrere Stunden hin, um genug Zeit zu gewinnen und versenkte das Schiff in einer eiligen Aktion in einer sandigen Bucht vor Pulau Weh. Leider ist es keine Geschichte eines glorreichen Triumphes in letzter Sekunde, zwar starb bei der Versenkung durch Kapitän Helms niemand von der Besatzung, diese wurde aber gefangen genommen und nur wenige überlebten die Torturen der Gefangenschaft im Dschungel und schafften es zurück nach Europa.

 

Das Oberdeck kann man auf einer Tiefe zwischen 45 und 50 Metern erkunden, gerade jüngst ist es etwas eingesunken, die alte Dame hat binnen weniger Monate zu bröseln begonnen, als sei sie es nach über 70 Jahren müde, an die Schrecken des zweiten Weltkrieges zu erinnern. Mit Ausnahme des etwas eingesunkenen Oberdecks scheint das Schiff optisch noch vollkommen intakt, berührt man es aber an manchen Stellen, hat man plötzlich einen rostigen Klumpen Metall in der Hand und in der Schiffswand klafft ein Loch. Aufgrund der Tiefe des Wracks muss man bei den meisten Basen einen eigenen "preparation dive" mit Minikurs absolvieren, um zu zeigen, dass man mit solchen Tiefen umgehen kann (auch wenn einige französische Mittaucher versichert hatten, dass dies gerade erst einmal ihre Wohlfühltiefe sei).

 

Ganz in der Nähe der Sophie Rickmers liegen die Hot Springs, diese bieten unterseeische vulkanische Aktivität. Aus dem Boden perlen riesige Blasen, das Wasser und auch der Sand sind warm bis heiß, die kleinen Schlote selbst sind mit weißem Algenpelz bewachsen, ansonsten lebt dort absolut gar nichts. Obwohl nur auf 18 Metern gelegen fühlt man sich als wäre man bei den schwarzen Rauchern in der Tiefsee, das warme Wasser flimmert vor dem weißen, pelzigen Algenbewuchs als würde es fast kochen. Taucht man auf, stinkt es gewaltig nach Schwefel. 

 

In den nächsten Tagen betauchen wir Arus Bale, was übersetzt "bastard current" bedeutet und der Tauchplatz macht dem Namen meistens alle Ehre, da flattern Masken und Atemregler in der Strömung und man kann sich meist nur mehr festkrallen. Hat man aber den Kanal durchquert, gelangt man in ruhigere Wasser mit mannshohen Fächergorgonien und einer Unmenge an Drückerfischen, Schnappern, Makrelen und orange blinkenden Fahnenbarschen. Ein Moment im Kanal steht immer noch vor meinem inneren Auge: Die Strömung ist so stark, dass sie einem Mittaucher tatsächlich die Maske vom Gesicht reißt, er krallt sich (ohne Maske) an einem Felsen fest, die Flossen flattern und klopfen hinter ihm auf und ab wie in einem Comic. Dann schießen zwei geradezu gewaltige Dickkopfmakrelen  in einem Affentempo über ihn hinweg gegen die Strömung als gäbe es diese einfach nicht, als wäre es NICHTS. Ehrfurchtsvoll blicke ich den beiden Fischen hinterher und hoffe, dass sie niemals gefangen werden und auf einem Teller landen. 

 

Einer der berühmtesten Tauchplätze um Pulau Weh ist sicherlich der "Canyon" mit wahren Fächergorgonienwäldern und Batee Tokong, der ebenfalls ab 25 Metern Tiefe einen märchenhaft anmutenden Fächergorgonienwald aufweist, wie ich ihn so noch nirgends gesehen habe. Darüber schwebt eine Unmenge an Fischen, man badet geradezu in Fischschulen, ich zähle etwa bei einem Tauchgang allein zwölf Riesenmuränen, zwei Netzmuränen, vier Oktopusse, unzählige Makrelen, einen gewaltigen Thunfisch, einen Weißspitzen- und einen Schwarzspitzenriffhai, einen Adlerrochen und beachtliche Schwärme von Rotzahndrückern und Fahnenbarschen in den oberen Bereichen.

 

Einige andere Tauchplätze um Pulau Weh sind hingegen schlichtweg ernüchternd, völlig versandet mit wenig Bewuchs und kaum Tieren, auch wenn man in der Regel ein paar hübsche Makromotive entdeckt - alles scheint hier von einer dicken Staubschicht getötet und begraben worden zu sein. Abends schwelge ich daher lieber in der Erinnerung an den Tauchgang bei Batee Tokong, wo Fischschwärme im tiefen Blau um uns herumgetanzt sind.

 

Every rose has its thorn, heißt es. Und mit Pulau Weh ist es nicht anders: Auf Pulau Weh gilt -  wie in der gesamten Provinz um Banda Aceh - Scharia Recht, was gelegentlich zu unangenehmen Begegnungen mit der Scharia Polizei - ja, so etwas gibt es - führen kann (ich erzähle jetzt besser nicht vom Silvester-Dinner, das die Herrschaften erfolgreich sabotiert haben, dabei hatten sie - Gott sei Dank - das zuvor ausgeschenkte Bier nicht einmal entdeckt, sonst wäre die Angelegenheit wohl weit weniger glimpflich ausgegangen als nur mit der de facto Beendigung der Feier, die sie sich berufen gefühlt hatten, bewachen zu müssen, um unanständigen Auswüchsen entgegen zu halten). 

 

 

Dezember 2018/Jänner 2019

 

 

 

 

 

 

 

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© Christine Rauter