Sansibar

 

Unguja, landläufig auch als Sansibar bekannt, irritiert mich bereits bei der Fahrt vom Flughafen zum Resort mit einem unglaublichen Verkehrschaos. Nach einer Woche auf Pemba, wo es im Norden so gut wie überhaupt keine motorisierten Fahrzeuge gibt, hocke ich nervös auf der Rückbank des Taxis und beobachte das Geschehen: Hupen, abruptes Bremsen, Anfahren, das Passieren von Fahrzeugen lediglich mit einem fingerbreiten Abstand, zack, haben wir ein herrenloses Fahrrad überfahren, es kracht gewaltig, das Fahrrad fliegt in die Luft, der Fahrer bleibt aber nicht stehen und macht einen auf schwerhörig.

 

Der erste Eindruck bei der Ankunft im Resort überwältigt mit gewaltig breiten, kilometerlangen weißen Stränden vor endlosen Palmenhainen. Beim näheren Hinsehen offenbart sich aber eine Menge Müll an dessen Rändern und auch im seichten Wasser. Einige Einheimische mit Mofas knattern mit neongelben Sonnenbrillen auf den Gesichtern den Strand entlang. Alle paar Sekunden wird man von den berüchtigten Beachboys angesprochen. Nun gut, ich bin zum Tauchen hier.

 

Die meisten Tauchplätze liegen im Norden rund um das Mnemba Atoll, dort finden sich an jedem Tauchplatz dutzende Tauch- und noch mehr Schnorchelboote, ich fühle mich wie in Hurghada. Die Korallenbänke bröseln in ausgebleichter Trauer vor sich hin und auch Sansibar ist übrigens komplett leergefischt. Der Guide empfiehlt uns Big Wall auf der anderen Seite des kleinen Atolls, aber auch hier findet sich außer ein paar Füsilieren nichts, wirklich gar nichts. Schildkröten haben wir während der gesamten zwei Wochen keine einzige gesehen, unser aus dem Dorf stammender Guide erläutert, dass diese von den Dorfbewohnern aufgegessen worden seien, zwar sei dies natürlich offiziell verboten, doch würden die Park Ranger und die Fischer einer Familie angehören, sodass das Töten der Tiere ungeahndet geblieben sei.

 

Als ich dann bei „Coral Garden“ über den von schönen Tonnenschwämmen durchwachsenen sandigen Grund schwebe, stellt sich doch noch mein Jagdtrieb und damit mein Wohlgefühl ein: Ich finde prächtige Kopfschildschnecken, weiß-schwarz gestreifte Chromodoris, einige Oktopusse, viele kleine Muränen, Garnelen, die klobig und unbeholfen wirkenden Riesenanglerfische und sogar noch ein Rhinopias. Ein Marmorschlangenaal und eine Flunder stecken ihre Köpfchen zusammen, ich lache über das ungleiche Duo. Ist man ein Critter Jäger, kommt man wohl auch in Sansibar auf seine Kosten. Bärtige Skorpionsfische, Buckeldrachenköpfe, Steinfische, Schaukelfische, Plattwürmer und Schnecken in allen Formen und Farben erfreuen das Taucherherz, sodass man sich unwillkürlich fragt, wer sich diesen Wahnsinn, diese Farben- und Formenvielfalt, diese mannigfaltigen Tiergesichter denn ausgedacht hat.

 

Die Fahrt auf die andere Seite der Insel nach Stone Town, zu den beiden Wracks der Insel ist jedoch die Zeit nicht wert, zwei kleine versandete Wracks in geringer Tiefe wollen nicht so recht begeistern. Der letzte Tauchgang sollte aber wieder ein solcher werden, den man nie vergisst, der Grund, warum man um die halbe Welt reist, eine außergewöhnliche Begegnung, die das Herz berührt: Ganz am Ende des Tauchgangs umringt uns eine Schule Großer Tümmler, die wir an allen Tagen zuvor bereits an der Oberfläche gesehen hatten. Sie quieken, sie spielen, sie schlagen Purzelbäume, sie nähern sich uns Tauchern ohne jede Scheu, prüfen Teile des Equipments auf ihre Spieltauglichkeit (die Marine Park Plaketten, die an meinem Jacket baumeln, erwiesen sich als allseits begehrte Objekte). Wir verbleiben ganze 20 Minuten in dem Getümmel bis die Delfine weiterziehen (und einigen Kollegen die Luft ausgeht), sodass wir noch Stunden später in Entzücken ob der Begegnung mit den lustigen Seelchen verharren.

 

Ein Fazit zu Sansibar fällt schwer, eine Billigtouristenhölle mit einigen wenigen Ausblicken in den Taucherhimmel, Schönheit durchsetzt von absoluter Scheußlichkeit, etwas, das in all seinen kleinen Teilen kein großes Ganzes ergibt.

 

 

 

November 2021

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© Christine Rauter