Mirihi

 

 

 

Beim Blick über die Lagune von Mirihi offenbart sich durchscheinendes, sanftes, pastellfärbiges Blau am Morgen, das im Laufe des Tages, wenn die Sonne höher steigt, zu leuchtendem Türkis entflammt. Strahlendweiße Möwen streichen über die Lagune und attackieren, aus welchen Gründen auch immer, einen Fischreiher, der im seichten, glasklaren Wasser watet - dabei schimpfen sie ihn auch kräftig aus, auch wenn das Fehlverhalten des Fischreihers für mich nicht klar ersichtlich ist. Der Fischreiher fliegt mit elegantem Flügelschlag weg, die einzig angemessene, vornehme Reaktion auf die kleinen Krawallmacher.

 

Man muss nun leider tatsächlich Klischees bedienen, ohne derer ist eine Beschreibung von Mirihi schlichtweg nicht möglich: Palmwipfel biegen sich in der sanften Brise, maledivische Schönechsen laufen über die Wege so wie man sich Minidinosaurier beim Laufen vorstellt, Einsiedlerkrebse schieben emsig ihre Behausung über die Insel. Gegen Mittag legt sich der Wind und das Wasser ist glatt und klar wie eine Glasscheibe. Die Trennung zwischen Luft und Wasser scheint aufgehoben, man kann die Elemente nicht mehr voneinander unterscheiden. Wimpelfische, blaugelbe Kaiserfische, Doktorfische, vor allem die typisch maledivischen Weißkehldoktorfische in ihrem pudrigen Hellblau und kleine Schwarzspitzenriffhaie umkreuzen den Steg. Am Abend verblasst das kräftige Türkis zu weicheren, pastellfärbigeren Tönen, in das sich etwas Grau mischt während der Himmel eine orangerote-rosa Färbung annimmt. Die Tage verlaufen sich in absoluter Schönheit relativ gleichförmig auf Mirihi.

 

Beim Tauchgang bei Bodu Finolhu Thila blicken mir graue Riffhaie und Silberspitzenhaie, die sich in konzentrischen Kreisen immer wieder nähern, direkt ins Auge. Ich starre die katzenartigen Augen des grauen Riffhais an und denke, dass ich diese wirklich noch nie aus dieser Nähe gesehen habe. Wahrscheinlich weil ich meine Kamera nicht dabei habe, nähern sich die Tiere auf Berührungsdistanz (die Kamera ist leider beim Checktauchgang abgesoffen, weshalb ich kaum Bilder von unter Wasser habe). Da ist jemand drinnen, das ist mir ganz klar, als ich in halber Armeslänge in das Katzenauge eines grauen Riffhais blicke, der von den zig Exemplaren an diesem Tag der Neugierigste ist. Mag das jetzt auch abgedroschen klingen, die Präsenz und Persönlichkeit des Kleinen sind so stark ausgeprägt, dass es mich fast schaudern macht. Da bleibt kein Raum für Deutung, Zweifel oder Interpretation: Der kleine graue Riffhai will wissen, wer ich bin und er will, dass auch ich ihn wahrnehme. Als wir den Hang des Hauptriffes neben dem kleinen Thila nach oben tauchen, umkreisen uns noch einige Weißspitzenriffhaie, ein massiger Ammenhai döst unter einem Überhang, Schwärme von Neon-Füsilieren pulsieren über einem - überraschenderweise - herrlichen Hartkorallenbestand.

 

Kuda Rah Thila verschwindet hingegen in einem Berg von zig tausend Blaustreifenschnappern, weder der Tauchpartner noch das Riff sind in den meisten Fällen zu erkennen, weil die Fische in einer derarten Dichte schwimmen, dass man nur mehr Gelb und Blau sieht. Glitzernde Blauflossenmakrelen schießen durch die Fischschwärme, graue Riffhaie ziehen etwas außerhalb ihre Runden, eine Schildkröte rupft Korallen. Beim Auftauchen biete ich mit meinem Oktopus einem Doktorfisch ein Sprudelbad, der dann gar nicht mehr von meiner Seite weichen will. Er flirtet sogar richtig, legt sich eine leuchtende Farbe zu, stellt alle Flossen auf und schwimmt mir vor dem Gesicht herum, damit ich wieder und wieder die Luftdusche an meinem Oktopus bediene.

 

Die kleine Insel im Südari Atoll hat sehr wenige Zimmer, keine Fernseher, keinen motorisierten Wassersport, keinen Pool, noch keine Bollmauern um die Insel zum Schutz vor Erosion, nur die märchenhafte Kulisse einer kleinen, dicht bewachsenen Insel im unendlichen Farbenrausch des Indischen Ozeans.

 

Mirihi, im Übrigen eine der kleinsten Malediveninseln, ist für mich ein Himmelreich, ein Märchenland, ein Gefilde der Seligen, es tut fast körperlich weh, diesen Ort wieder verlassen zu müssen. So, denke ich, muss das Paradies aussehen… Der Gedanke, dass diese Schönheit – angesichts der Bedrohungen, denen die Malediven ausgesetzt sind – vermutlich bald vergangen sein wird, verstärkt noch den Gedanken an ein bald verlorenes Paradies.

 

 

Februar 2025

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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© Christine Rauter